Neue Heimat - Kapitel 4

1960 - 1969: Mit neuem Steuermann

Am 14.1.1963 stirbt Heinrich Plett. Nun übernimmt Freizeitkapitän Albert Vietor das Ruder des Großunternehmens und hält es bis 1982 in Händen.
Die baulichen Leistungen der Neuen Heimat in den 60er Jahren sind quantitativ beeindruckend, 1963 verfügt die Neue Heimat über 200.000 Wohnungen. Auffallend besonders im Norden der Republik ist, daß kaum noch freischaffende Architekten verpflichtet werden. Die neuen Wohnanlagen werden von den eigenen Planungsabteilungen entworfen. Im Süden ist das etwas anders, darin zeigt sich, daß die einzelnen Regionalgesellschaften durchaus eigene Handlungsfreiheit besaßen.

Zu den großen Siedlungen aus dieser Epoche zählen: Lohbrügge-Nord und Karlshöhe in Hamburg, Bremerhaven-Leherheide, München-Hasenbergl, Kiel-Mettenhof, Ratingen-West. Das Erwähnen einiger dieser Namen trieb manchem später die Zornesröte ins Gesicht. Aber lassen wir Gerechtigkeit walten: Zum Synonym für verfehlten Städtebau avancierte das Märkische Viertel in Berlin, aber siehe da, die Neue Heimat hat dort nicht gebaut. Cosi fan tutte. Die Neue Heimat baute wie die anderen. Städtebaulich war sie ein Kind ihrer Zeit. Martin Kirchner bescheinigt der Neuen Heimat sogar, dass die Entwürfe aus der hauseigenen, zentralen Planungsabteilung "von Ausnahmen abgesehen - überdurchschnittlich gut" waren. [Der Architekt 12/1990, S. 553]. Diese Bewertung ist umso bemerkenswerter, wenn man weiß, dass sich Kirchner selber als ein Opfer der Neuen Heimat sah.

Auch in den Neue Heimat Monatsheften schlägt sich der Geist jener Zeit voll nieder. Neue Wohnanlagen werden mit Ziffern beschrieben und soziologisch begründet. Die Gestaltung der Häuser wird einfach nicht mehr erwähnt. Rationalisierung ist das Stichwort der Epoche, nicht nur bei der Neuen Heimat, sondern z.B. auch im Bundesbauministerium. Zum Symbol der Epoche wird der Plattenbau, auch bei der NH

Das EEZ: Eine Erfolgsstory

Anfang der 60er Jahre gab es in Hamburg noch kein Einkaufszentrum "auf der grünen Wiese". Als Standort für ein erstes Zentrum dieser Art wurde ein dezentraler Stadtteil im Hamburger Westen ausgewählt: Osdorf. Bei dieser Wahl hatte man die ständig wachsenden Umlandgemeinden wie Wedel oder Schenefeld im Visier. Das Einkaufszentrum sollte die nach Schleswig-Holstein abgewanderte Kaufkraft wenigsten zum Teil wieder in der Hansestadt abschöpfen. Aber auch Osdorf und die benachbarten Hamburger Stadtteile boten genügend Aussicht auf wachsende Bevölkerung.
Städtebaulich war die Lijnbaan in Rotterdam ein Vorbild für das Elbe-Einkaufs-Zentrum, mit dessen Bau 1964 begonnen wurde und das 1966 seine Eröffnung feiern konnte. Bauherr des Zentrums war die "Dr. Görtmüller KG" in Düsseldorf. Persönlich haftende Gesellschafter dieser KG waren neben dem Namensgeber Wolfgang Vormbrock (Vostandsmitglied der Neuen Heimat) und Georg Bamberg (Geschäftsführer der Neuen Heimat Nord). Bauleitung und Baubetreuung oblagen der Beratungsgesellschaft für Gewerbebau, einer Tochter der Neuen Heimat. Für die architektonische Gestaltung zeichneten die Berliner Architekten Paul Schwebes und Hans Schoszberger verantwortlich.
Verglichen mit heutigen Konsumtempeln strahlte das Elbe-Einkaufszentrum eine schlichte, zurückhaltende Atmosphäre aus. Autos waren auf Parkdecks verbannt, die T-förmig angelegten Fußwege waren nur an den Schaufensterfronten überdacht. Die Ladenzeilen waren eingeschossig angelegt, an beiden Enden des "T-Querstrichs" befanden sich Warenhäuser - "Hertie" und "Quelle". Das EEZ war kommerziell ein riesiger Erfolg. Doch Anfang der 90er Jahr schien es nicht mehr marktgerecht zu sein. Der Umbau 1992-1993 ließ, abgesehen von der t-förmigen Anlage, nicht viel vom alten Zustand übrig. Es ist jetzt ein vollüberdachtes Einkaufszentrum mit der üblichen Gestaltungsphilosophie.

Verlust der Unschuld

Die 60er Jahre brachten die Neue Heimat erstmals ernsthaft ins Gerede: die Boljahn-Affäre gelangte an die Öffentlichkeit. Richard Boljahn war ein vielbeschäftiger Mann: Fraktionsvorsitzender der Bürgerschaft in Bremen, Mitglied im Aufsichtsrat der Neuen Heimat und Vorsitzender des DGB in Bremen. Die Vorwürfe gegen Boljahn bezogen sich auf Grundstückskäufe in Bremen-Hollerland. Ein Freund von Boljahn, Wilhelm Lohmann, hatte für die "Grundstücksgesellschaft Weser" Land erworben. Aufsichtsratsvorsitzender dieser Grundstücksgesellschaft war - Richard Boljahn. Als das Geld für die Grundstückskäufe ausgegangen war, soll Boljahn seinem Freund geraten haben, auf eigene Faust weiter aufzukaufen. Hollerland war damals "Bauerwartungsland", über die Bebauung hatte der Bremer Senat aber noch nicht entschieden. Die Unsicherheit über die Zukunft seiner frisch erworbenen Grundstücke wurden Lohmann aber bald abgenommen: die Neue Heimat kaufte sowohl seine Grundstücke wie die der "Grundstücksgesellschaft Weser" auf. Die Affäre kostete Boljahn die politische Karriere. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss konnte die Vorgänge nicht restlos klären, aber SPD und DGB warfen Boljahn aus seinen Ämtern.

Kommerzielle Töchter

Entscheidender für den weiteren Weg der Neuen Heimat und letztendlich Hauptursache für den späteren Niedergang war die Gründung von kommerziellen, nicht gemeinnützigen Tochtergesellschaften: 1962 wurde die Neue Heimat International gegründet, 1964 folgte die Neue Heimat Kommunal. 1969 kam noch die Neue Heimat Städtebau hinzu. Sie wird gegründet nach dem 8. Ordentlichen Bundeskongreß des DGB, der "Leitsätze zur Regional-, Städtebau- und Wohnungspolitik im Rahmen von Raumordnungs- und Strukturpolitik" aufstellte und die Neue Heimat aufforderte, auch über den Wohnungsbau hinausgehende Bereiche des Städtebaues abzudecken.
Die Tochtergesellschaften der Neuen Heimat waren juristisch unabhängig, doch in den führenden Stellungen traf man überall auf bekannte Gesichter aus der Muttergesellschaft

Alsterzentrum

Im Juni 1966 präsentierte die Neue Heimat im Hamburger Rathaus ihre Pläne für ein Alsterzentrum. Es sollte in St. Georg errichtet werden, einem Hamburger Stadtteil, der direkt an der Ostseite des Hauptbahnhofs beginnt. St. Georg war bereits damals ein bunter Stadtteil, mit Schauspielhaus, Wohnbevölkerung, Straßenstrich, Läden und Lokalen. Die Bausubstanz war meist alt und zum Teil sanierungsbedürftig. Für das Alsterzentrum wäre fast ganz St. Georg abgerissen worden, nur einige Gebäude am Rande und zwei Kirchen hätte die "Flächensanierung" übrig gelassen.

Der Vorschlag der Neuen Heimat fand anfangs einige Unterstützung - auch im Senat. Ein Modell des Zentrums wurde auf Ausstellungen gezeigt. Der Entwurf des NH-Architekten Hans Konwiarz sollte das Projekt allerdings nur veranschaulichen - die endgültige Gestalt sollte in einem internationalen Wettbewerb gefunden werden.
Ab Ende der 60er Jahre begann sich Widerstand gegen die Planungen zu regen. Grundeigentümer und Bürgerverein forderten eine Planungsbeteiligung. Eine Gruppe innnerhalb der FDP Hamburg-Mitte machte Alternativvorschläge und forderte eine schrittweise Sanierung des Stadtteils. So kam es tatsächlich, das "Alsterzentrum" hingegen verschwand in der Versenkung..

Daten 1960-1969

Hamburgisches Architekturarchiv der Hamburgischen Architektenkammer