Neue Heimat - Kapitel 5

Die Neue Heimat 1970 bis zum Ende

Der Gesamtkonzern Neue Heimat erreichte in den 70er Jahren eine kaum noch durchschaubare, komplizierte Struktur. Die Auslandsbeteiligungen der Neuen Heimat International reichten bis nach Kanada und Mexiko. Schwerpunkt der Auslandsbeteiligungen war Frankreich. Wie sich später herausstellte führten gerade einige dieser Beteiligungen zu den finanziellen Schwierigkeiten, in die der Konzern gegen Ende des Jahrzehnts geriet.

Das Konzept der Neuen Heimat Städtebau war eigentlich modern und überzeugend: Man lieferte Komplettangebote, bot sich als Generalübernehmer an und versprach niedrige Preise. Auf diese Weise entstanden etwa das Plaza-Hotel und das Kongreßzentrum CCH in Hamburg (Architekten: Schramm und Pempelfort). Eine Erfolgsgeschichte. Von Skandalen begleitet waren hingegen zwei andere Projekte. Das Komplettangebot mit festen Preise erwies sich beim Klinikum Aachen und bei den Neubauten für die Universität Göttingen als Boomerang. Die Preise konnten nicht eingehalten werden. Bei Großprojekten, zumal bei Krankenhausbauten, ist das nicht ungewöhnlich. Im Falle der Universität Göttingen ließ sich die Neue Heimat eine besondere Variante der Preisstabilität einfallen: Man bot die Fertigstellung der Bauten zum alten Preis an, wollte das Bauprogramm aber gleichzeitig "verschlanken".

In der Bundesrepublik wurden die Bauaufgaben der Neuen Heimat immer vielfältiger. Man bot Leistungen in fast allen Bereichen des Städtebaus an. Die Tochtergesellschaften und Beteiligungsgesellschaften teilten sich die Aufgaben: Die GEWOS untersuchte alte Stadtgebiete, die Neue Heimat Städtebau plante neue Zentren, die Neue Heimat Kommunal vielleicht ein neues Hallenbad und die Neue Heimat Gemeinnütziger Wohnungsbau schließlich war für den sozialen Wohnungsbau zuständig. Ein besonders wichtiges Aufgabengebiet wurde die Altstadtsanierung. Die Neue Heimat war an der vielbeachteten Sanierung der Altstadt von Hameln beteiligt, ebenso in Karlsruhe, Osnabrück, Stade und anderen Orten.

Mieter wehren sich

Mit der Expansion der Neuen Heimat wuchs auch der Bedarf an eigenen Büroräumen. In den 70er spielt man in der Hamburger Zentrale verschiedene Projekte durch. Als fatal erwies sich die Idee, neben dem Standort der Zentrale in Hamburg-Hohenfelde ein neues Verwaltungsgebäude zu errichten. Dazu hätten die eigenen Wohngebäude rund um die Hauptverwaltung abgerissen werden müssen. Ein bemerkenswertes Unterfangen: Die Wohngebäude an der Lübecker Straße wurden, wie die alte Hauptverwaltung, von Ernst May entworfen, jenem Architekten, auf den die Neue Heimat ein Jahrzehnt zuvor besonders stolz war. Den Mietern wird das egal gewesen sein, sie wollten ihre citynahen Wohnungen erhalten. Die Sache wurde zum großen Thema in der Lokalpresse und die Mieter obsiegten. Ein Lehrstück: Ein Unternehmen, dass sich als Teil der Arbeiterbewegung versteht, agiert gegen seine Klientel und unterliegt. Was kam raus bei der Geschichte? Die Neue Heimat plante nun ein Gebäude für sich und die Volksfürsoge am Besenbinderhof / Repsoldstraße, tatsächlich wurde an der Pappelallee in Eilbek gebaut. Die Volksfürsorge hingegen baute ein Jahrzehnt später tatsächlich ihr Gebäude an der Repsoldstraße.

Alternativen zur Platte

Universitäten, Krankenhäuser, Altenheime, Kongreßzentren (z.B. ICC Berlin), Schwimmhallen, kommunale Zentren, Schulen, Altstadtsanierung: Das waren neue Schwerpunkte des Konzerns. Besonders gegen Ende des Jahrzehnts entstanden dabei auch durchaus ansehnliche Projekte, etwa die Altenwohnanlage Anscharhöhe in Hamburg, die Sanierung Karlsruhe-Dörfle oder die Siedlung Alter Flugplatz in Augsburg. Auffallend: an diesen Projekten waren oft freischaffende Architekten beteiligt (z.B. Hilmer & Sattler, Patschan - Werner - Winking). In einem Fall wurde die Neue Heimat gar zur Startrampe eines jungen Büros: Für den Reichsbund in Bremen (und die Neue Heimat) entwarf das Büro me di um ein Fortbildungszentrum im gemäßigten techno-look.
Auch hier zeigte sich die Neue Heimat wieder als Kind ihrer Zeit. Und man muss ihr zugestehen, daß sie die Nase im Wind hatte. Man kehrte zurück zum (vorgesetzen oder vollem) Mauerwerk (z.B. Holstentwiete und Eggerstedtstraße in Hamburg-Altona), im Süden auch zum Putzbau (z.B. Leinfelden). Die Gestaltung der Gebäude wurde wieder zum Thema. Machmal wagte man sogar Experimente, wie bei der dokumenta urbana in Kassel (u.a. mit Hertzberger, Hilmer & Sattler, Baufrösche).

"Neue Heimat"-Hefte werden "Stadt"

Auch die Zeitschrift der Neuen Heimat gewann ein neues Profil. Lothar Juckel wurde engagiert. Er strukturierte Anfang der 80er Jahre die Neue Heimat Monatshefte gründlich um, schließlich änderte sich auch der Name des Magazins, bis zur Einstellung im Jahre 1986 nannte es sich schlicht "Stadt". Die Gewichte verschoben sich: Wurden früher Projekte der Neuen Heimat in den Mittelpunkt gestellt und außerdem allgemeine Themen angesprochen, so wurde die Zeitschrift jetzt zu einem allgemeinen Städtebauforum, in dem auch die Neue Heimat vorkam.

Elementa und das Schicksal der Platte

Zu Beginn der 70er Jahre entwickelte die Neue Heimat ein neues Fertigbausystem namens elementa. Damit nahm man an einem Bundeswettwerb, den das Bundesbauministerium mit dem Magazin "Stern" ausgeschrieben hatte, teil und errang einen 3. Preis für ein Grundstück in Hannover. Kein sonderliches Ruhmesblatt, aber die Neue Heimat versprach, mit skeptischen Blick auf die siegreichere Konkurrenz, ihr Bausystem wirklich zu realisieren. Und in der Tat wurden gar nicht so wenige elementa-Gebäude errichtet, z.B. in Hamburg-Mümmelmannsberg, Hannover-List, Hannover-Sahlkamp, Göttingen-Grone, Oberhausen, Frankfurt-Bonames, Kassel-Brückenhof und anderen Orten. Das Bausystem war durchaus anschaubarer als bisherige Großplattensysteme. Balkone mit farbigen Brüstungen verdeckten die schnöden Platten. Das Experiment "elementa" beschäftigte einige Jahre eine große Planungsabteilung der Neuen Heimat. Ob dieser Aufwand an Arbeitskraft lohnend war, bleibt im Nachhinein die Frage, denn als das Bausystem so richtig in Schwung kam, war die Zeit für Plattenbauten eigentlich vorbei.

Eine Demonstration des Städtebaus

Eigentlich, aber trotz aller negativen Erfahrungen und Kritik von allen Seiten setzte die Neue Heimat im letzten Drittel der 70er noch eine Großsiedlung in Plattenbauweise (aber nicht das System "Elementa") auf die Wiese: Osterholz-Tenever im Bremer Osten. Optisch erinnert Tenever spontan an das Märkische Viertel in Berlin. Die Siedlung hat Sichtkontakt zur Großsiedlung Neue Vahr aus den 50er / 60er Jahren. Ein aufschlußreicher Vergleich.

Das Projekt Osterholz-Tenever wurde vom Bund als "Demonstrativbauvorthaben" gefördert. Das Exemplarische des Bauvorhabens lag in seiner Planung. Kaum zuvor wurden so konsequent Fachleute für den Bau einer Siedlung eingebunden wie im Falle Osterholz-Tenevers. Innovativ war das offene Konzept. Während der Realisierung sollten die Planungen immer wieder überdacht und geändert werden können. Tatsächlich gab es eine Baupause, nach der die Siedlung mit veränderten Konzept weiter gebaut wurde. Osterholz-Tenever ist eine verdichtete Großsiedlung mit besonders vielen "Folgeeinrichtungen", die das Leben angenehmer machen sollen. Es hat nicht gereicht: Anfang des 21. Jahrhunderts wurde Osterholz-Tenever erneut zum Demonstrativprojekt - diesmal als eine der ersten Hochhaussiedlungen in Westdeutschland, die "zurückgebaut" - sprich: zum Teil abgerissen - wurde.

Die Zeit der "Platte" ist übrigens keineswegs abgelaufen. Heutzutage werden wieder vermehrt Fertigteile verwendet (z.B. Turmweg in Hamburg - Atelier 5). Aber im Unterschied zu den 60 und 70er Jahren sind die Platten in der Regel nur konstruktives Element, die Fassaden werden mit anderen Materialien gestaltet.

Ein schöner Eselsberg

Ende der Siebziger Jahre, Anfang der Achtziger Jahre gewann die Neue Heimat durch einige Projekte neues Profil. Als Beispiel soll die Wohnanlage Häringsäcker in Ulm-Eselsberg dienen. Die Fachpresse lobte: "Die formalen Qualitäten dieses Quartiers und seine wirtschaftlichen Vorteile treten augenblicklich in Erscheinung, wenn man die Nachbarn aus Individualbau und Serienfabrikation näher betrachtet" (Baumeister 6/1982, S. 584 f.). Die Wohnanlage umfasst 62 Wohnungen in Geschossbauweise und 33 Einfamilienhäuser, die sich aber als "Einheit darbieten". Jede Mietwohnung verfügt über Besonderheiten, die sie von den anderen unterscheidet. Bemerkenswert: die Entwürfe stammen aus der Planungsabteilung der Neuen Heimat Baden-Württemberg, Architekten: Günter Englert, Karel Faifr und Sebastian Sage.

Das Ende

Februar 1982 erschien im Spiegel als Aufmacher der Neue-Heimat-Skandal. Illegale Geldschiebereien zwischen den Neue-Heimat-Gesellschaften, die den Gesamtkonzern retten sollten, wurden offenbar. Der DGB setzte einen neuen Vorsitzenden ein: Diether Hoffmann. Es zeigte sich aber, dass der Gewerkschaftsbund nicht bereit war, die Riesensummen aufzubringen, die nötig waren, um die Neue Heimat zu retten. Im DGB herrschte Kopflosigkeit und man brachte es fertig, einen neuen Skandal im Skandal zu erzeugen: Die Neue Heimat wurde 1986 für eine Mark ("Hastemal 'ne Mark") an den Berliner Bäckerei-Unternehmer Schiesser verkauft, der sie prompt gegen großzügige Entschädigung für den Aufwand wieder zurückgab.
Um die fatale Lage zu retten, wurden Wohnungen als Eigentumswohnungen zum Verkauf angeboten. Große Teile des Wohnungsbestandes gingen in neugegründete oder neuformierte Unternehmen über, z.B. GWG in Hamburg, WIR in Berlin, GWH in Hessen und GEWOBA in Bremen.

In Hamburg bot 1988 der Treuhänder der Neuen Heimat Nord dem Hamburger Senat 41.533 Wohnungen zum Kauf an. Die Verhandlungen erwiesen sich als sehr schwierig. Der Senat beauftragte Christian Olearius vom Bankhaus M.M. Warburg - Brinckmann, Wirtz & Co mit der Fortführung der Verhandlungen. Zusammen mit dem hinzu gezogenen Otto Gellert konnte er am 30. November 1988 dem Senat einen fertigen Vertrag vorlegen. 1989 gründete die Stadt Hamburg zwei Wohnungsgesellschaften. Die Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft mbH (GWG) übernahm 31.456 Wohnungen, die Wohnungsverwaltungsgesellschaft Nord (WVN) 10.077 Wohnungen. Übernommen wurden auch unbebaute Grundstücke in einer Gesamtgröße von 1.056.801 qm. Die WVN wurde bereits am 21.8.1992 wieder aus dem Handelsregister gelöscht, die GWG gibt es noch heute. 1999 wurde sie mit dem größten Hamburger Wohnungsunternehmen - der städtischen SAGA - zu einem Unternehmensverbund liiert.

Die Neue Heimat in alter Form gibt es nicht mehr. Jahrelang gab es noch die NH-AG (später umfirmiert in HVB-AG). Am 1.4.1998 wurde sie mit ihrer Muttergesellschaft BGAG Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften AG mit Sitz in Frankfurt am Main verschmolzen. In der City-Süd in Hamburg residierte die "Neue Heimat - Vermögensverwaltungs- und Betreuungsgesellschaft mbH", die im August 2000 nach Hamburg-Bergedorf umzog. Aufgabe des Unternehmens ist die Betreuung der Pensionsansprüche von etwa 2000 ehemaligen Mitarbeitern der Neuen Heimat. Der Gesellschaft ist noch ein Grundstück in Bremen-Vegesack verblieben, das modernisiert wurde. Nach einem Vertrag vom 19.07.2006 und der Zustimmung der beteiligten Gesellschafterversammlung wurde sie mit der BGAG Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main (Amtsgericht Frankfurt/Main, HRB 76478) verschmolzen.

Nachruf

Neue Heimat adé. Das man ihr Fehler weniger verzieh als anderen, lag am selbstformulierten Anspruch als Gewerkschaftsunternehmen. Historisch wurden die Gewerkschaftsunternehmen als eine der Säulen der Arbeiterbewegung gesehen. Die Neue Heimat stellte sich auch in den 70er Jahren noch so dar. Eine Säule der Arbeiterbewegung kann kein gewöhnliches Unternehmen sein, sie suggeriert immer den Entwurf für eine bessere Gesellschaft. In Ansätzen wurde man diesem Anspruch auch gerecht, z.B. mit der Einführung der "qualifizierten Mitbestimmung" im Jahre 1970. Die Hinterlassenschaft ist gewaltig, kein anderes deutsches Unternehmen, hat je so viele Wohnungen gebaut wie die Neue Heimat, darunter befinden sich einige Perlen und viel Durchschnittliches. Man kann die Unterlagen zur Neuen Heimat wie einen Geschichtsatlas des Städtebaus im 20. Jahrhunderts lesen. Auch die Neue Heimat konnte sich nicht von den wechselnden städtebaulichen Prämissen lösen und baute wie die anderen im Geist der Zeit. Doch: was gestern noch galt, gilt morgen schon lange nicht mehr. Verglichen mit anderen großen, deutschen Wohnungsunternehmen war die Neue Heimat eine schillernde Erscheinung. Kein anderes Unternehmen brachte z.B. ein so wichtiges Monatsmagazin heraus. Die Neue Heimat wagte sich auf viele fremde Terrains vor und überschätzte dabei die eigenen Möglichkeiten. Andere Unternehmen, die sich auf ihr angestammtes Feld, den gemeinnützigen Wohnungsbau beschränkten, existieren noch heute und ziehen unspektakulär und ruhig ihre Bahnen.

Daten 1970-1991

Quellen

Unternehmensgruppe Neue Heimat: Ihr Partner '80/81, 1980
Unternehmensgruppe Neue Heimat: Jahresbericht 1977/78, 1978
Unternehmensgruppe Neue Heimat: Jahresbericht 1978/79, 1979
Unternehmensgruppe Neue Heimat: Jahresbericht 1979/80, 1980
Unternehmensgruppe Neue Heimat: 50 Jahre Neue Heimat, 1976
Bauwelt Nr. 6 vom 2.2.1989, S. 186
Bauwelt Nr. 13 vom 1.4.1988, S. 538
Bauwelt Nr. 1/2 vom 8.1.1988, S. 2
Bauwelt Nr. 14 vom 8.4.1988, S. 579
Bauwelt Nr. 25 vom 1.7.1988, S. 1068
Bauwelt Nr. 30 vom 7.8.1987, S. 1088
Bauwelt Nr. 24 vom 27.6.1986, S. 842
Bauwelt Nr. 46 vom 5.12.1986, S. 1739
Bauwelt Nr. 19/20 vom 20.5.1983, S. 707
Bauwelt Nr. 48 vom 26.12.1986, S. 1814 f.
Bauwelt Nr. 48 vom 26.12.1986, S. 1814
Bauwelt Nr. 46 vom 3.12.1982, S. 1863
Bauwelt Nr. 44 vom 25.11.1983, S. 1742
Bauwelt Nr. 46 vom 7.12.1984, S. 1943
Bauwelt Nr. 30 vom 9.8.1985, S. 1175
Bauwelt Nr. 37 vom 4.10.1985, S. 1484
Bauwelt Nr. 47 vom 13.12.1985, S. 1834
Bauwelt Nr. 41 vom 8.11.1985, S. 1623
Stadt, Heft Nr. 4/Dezember 1986
Der Spiegel Nr. 39 vom 22.9.1986, S. 24 f.
Der Spiegel Nr. 7 vom 15.2.1982, S. 91 f.
Eckart Kleßmann: M.M. Warburg & Co. Die Geschichte eines Bankhauses. Hamburg: Dölling und Galitz, 1998, S. 176-177

Hamburgisches Architekturarchiv der Hamburgischen Architektenkammer