Gerhard Hirschfeld und die Planungsgruppe Nord
Von Karl H. Hoffmann / Norbert Baues
Gerhard Hirschfeld war ein Meister der Kommunikation, fest eingebunden in einem Netz, das er selber mit knüpfte. An den vielen Enden des Netzes fanden sich Fachleuteverschiedener Sparten, Behörden, Vereine und engagierte Bürger. Auch die Architektur seines Büros, der Planungsgruppe Nord, erscheintfest eingebunden: in die Umgebungundin den historischen Kontext, nie aus der Rolle fallend, aber ein angenehmer Anblick für den Betrachter.
Der Hamburger Architekt Mathias Hein charakterisierte GerhardHirschfeld in einem Nachruf für den Architekten- und Ingenieurverein Hamburg als einen hervorragend vernetzten Kommunikator, der sich leidenschaftlich für die Hamburg Bau- und Architekturgeschichte begeisterte. Eine weitere Charakterisierungstammt vom Hamburger Kultursenator Reinhard Stuth: "Gerhard Hirschfeld ist vorbildhaft in seinem bürgerschaftlichen Einsatz für die Baukultur. Denkmalpflege ist zwar eine staatliche Aufgabe, muss aber immer auch von dem Engagement und der Begeisterung der Bürger getragen werden".So sagte es der Senator 2011 bei der Verleihung der Senator-Biermann-Ratjen-Medaille. Beide Bilder sind stimmig. Gerhard Hirschfeld bewegte sich in seiner freundlichen Art ohne eitle Allüren in vielen Netzwerken, folgte dabei seinen vielfältigen Interessen und engagierte sich immer wieder für den Erhalt von Bauwerken.
Geboren wurde Hirschfeld am 10.07.1936 in Stade. Seine Berufsausbildung erstreckte sich über mehrere Stufen, vom Praktischen hin zum Abstrakten. Nach einer abgeschlossenen Zimmermanns-Lehre in den Jahren 1951 bis 1953 besuchte er bis 1956 die Staatsbauschule Buxtehude, danach folgte das Studium an der Technischen Hochschule Hannover. Sein Diplom machte er 1963 bei Prof. Friedrich Spengelin.
1956 - 1957 sammelte er erste Erfahrungenin einem Architekturbüro beim Hamburger Architekten Karl Sterra. Nach dem Studienabschluss wurde er Angestellter im Büro von Horst Sandtmann, einem renommierten Architekten, der vor allem als Entwerfer von Kirchen und Bauten für die Hamburger Hochbahn bekannt war. Es folgte 1966 - 1972 die Mitarbeit im Landesplanungsamt der Freien und Hansestadt Hamburg. Dort brachte er es bis zum stellvertretenden Abteilungsleiter "Stadtbildgestaltung". Im Amt wurde ermit den Sonderaufgaben Elbtunnel/Autobahnumgehung West und Internationale Gartenbauausstellung (IGA) betraut.
Für die Teilnahme am Wettbewerb Bücherhalle Bramfeld tat sich Gerhard Hirschfeld 1969 mit Dieter J. Glienke (* 1937) zusammen, den er schon von seiner Arbeit im Architekturbüro Sandtmann her kannte. Ihr Entwurf errang den 1. Preis. Der überraschende Erfolg ermutigte Hirschfeld und Glienke, sich selbständig zu machen und ein eigenes Büro zu gründen. 1972 gaben sie ihrem Büro den Namen "Planungsgruppe Nord". Eine sehr zeitgemäße Umbenennung; in den 1970er Jahren verfolgten viele Architekten das Ziel, mit Fachkräften aus anderen Bereichen zusammenzuarbeiten. Durch die Einbeziehung von Aspekten, die über die reine Architektur hinausgingen, erhoffte man sich eine bessere Planung, die dem Menschen gerechter wurde. Folgerichtig kooperierte die "Planungsgruppe Nord" in den folgenden Jahren mehrfach mit Partnern aus verschiedenen Bereichen. Darunter die Planungsgruppe Martin Kirchner, der Landschaftsarchitekt Wolfgang Henze, das International Institut of Urban Studies, Professor Jos Weberunddie Ingenieure Ohlenroth + Riekmann.
Im Mittelpunkt standen zunächst städtebauliche Gutachten und Planungen, u. a. für die Großsiedlung Neuallermöhe. Zu größerer Bekanntheit gelangte die Planungsgruppe Nord aber durch ganz anders geartete Projekt. Die 1950er und 1960er Jahre standen ganz im Banne des "Wiederaufbaus". Eigentlich ein irreführender Begriff, denn wiederaufgebaut wurde, vor allem auch in Hamburg, nur wenig. Stattdessen schwebte über vielen Altbauten die Abrissbirne und schlug in viel zu vielen Fällen auch zu. Das historische Hamburg verschwand zunehmend, Gebäude,die vor 1900 erbaut wurden, fand man nur noch an wenigen Stellen in der Innenstadt. Eines dieser historischen Überbleibsel waren die ehemaligen Bürgerhäuseran der Deichstraße, an deren Rückseite das Nikolaifleet fließt. Doch auch ihnen drohte der Abriss, sie standen der autogerechten Stadt im Wege. Zum Glück für die Deichstraße waren die 1970er Jahre aber auch Jahre der Umkehr, es regte sich immer mehr Widerstand gegen die Städtebaupolitik aus der Nachkriegszeit. 1972 gründete sich der Verein "Rettet die Deichstraße", Gerhard Hirschfeld gehörte zu den Gründungsmitgliedern und die Planungsgruppe Nord wurde zum Architekturbüro des Vereins.
Die Häuser Deichstraße 32, 37 und 39 konnten gerettet werden, das Haus Nr. 35 musste durch einen Neubau ersetzt werden. Für diesen Neubau, der sich unauffällig in die Häuserfront einreiht, und weitere Sanierungs- und Renovierungsarbeiten erhielten die Planungsgruppe Nord und weitere Beteiligte 1985 den Walter-Hesselbach-Preis für Städtebau. Das Haus Deichstraße 35 wurde zuvor bereits vom Architekten- und Ingenieurverein (AIV) Hamburg als "Bauwerk des Jahres" ausgezeichnet. 2011 wurde Gerhard Hirschfeld für seine Verdienste um den Erhalt der Deichstraße die Biermann-Ratjen-Medaille des Hamburger Senats überreicht.
Das Bauen im Bestand blieb stets ein wichtiges Aufgabenfeld der Planungsgruppe Nord. Besonders hervorzuheben ist dabei die Renovierung und Neugestaltung des U-Bahnhofes Borgweg. für die das Büro die Auszeichnung "Bauwerk des Jahres" erhielt. Hinzu kamen reine Neubauten, besonders beachtenswert unter ihnen sind die U-Bahnhaltestelle Hagendeel und deren Umfeld sowie die Neugestaltung des Winterhuder Marktes mitsamt Pavillons. Für beide Projekte erhielt die Planungsgruppe viel Anerkennung und Auszeichnungen. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands ergriff das Büro schnell die Gelegenheit beim Schopfe und fasste auch in den "Neuen Bundesländern" Fuß. Man tat sich mit dem Architekten Joachim Kühl zusammen und eröffnete 1990 ein Büro in Schwerin. Vorübergehend wurde auch Roland Schulz Partner im Schweriner Büro. Das Engagement derPlanungsgruppe Nord auf dem ehemaligen Gebiet der DDR konzentrierte sich auf Mecklenburg-Vorpommern. Mehrfach ausgezeichnet wurde das Büro für den Umbau und die Restaurierung der Kirche St. Peter in Pritzier (Landkreis Ludwigslust-Parchim).
1999 wurde Olaf Bielenberg Partner im Hamburger Büro. 2003 löste sich die Planungsgruppe Nord auf. Gerhard Hirschfeld setzte sich danach nicht zur Ruhe, sondern blieb weiterhin, auf etwas anderen Feldern, aktiv. Schon lange zuvor hatte er sich nach Aufgaben abseits der Architektentätigkeit umgeschaut.Von 1974 bis 1995 war er Vorsitzender des Architekten- und Ingenieurvereins Hamburg gewesen, für den er auch Publikationen verfasste. Für den Erhalt historischer Bauten setzte er sich im Denkmalrat von 1975 bis 1991 ein. Es kamen noch mehrere andere Mitgliedschaften hinzu, man kann sie einer der Tabellen am Ende des Artikels nachlesen.
Nach der Auflösung der Planungsgruppe engagierte sich Gerhard Hirschfeld vermehrt für den Stadtteil, in dem er schon lange lebte: Hamburg-Volksdorf. Seit jahren war er Mitglied im 1978 gegründeten KulturKreis Walddörfer. 2006 erregte das Schicksal der Ohlendorff’sche Villa sein Interesse. Bis dahin diente das Gebäude als Ortsamt. Danach war nur noch in einigen Räumen das Kundenzentrum untergebracht. Die Stadt Hamburg plante den Verkauf an private Investoren.Der KulturKreis Walddörfer, dessen 2. Vorsitzender Gerhard Hirschfeld damals war, sprach sich für eine Nutzung des Gebäudes als einen kulturellen Treffpunkt aus. Es kam zu einem Bürgerbegehren, das sich erfolgreich für dieses Ziel aussprach. In langjährigen Verhandlungen kam es zur heutigen Lösung. Die Frank-Gruppe kaufte Grundstück und Gebäude. Der ausgehandelte Kompromiss bestand darin, das ein Teil des Areals neu mit Eigentumswohnungen bebaut werden durfte, die Ohlendorff'sche Villa aber denkmalgerecht saniert und einer Stiftung übergeben wird. Gerhard Hirschfeld begleitete die Sanierungsmaßnahmen fachlich und als Vorsitzender des Stiftungsrates der 2013 gegründeten "Stiftung Ohlendorff’sche Villa".Fast bis zu seinem Tode blieb Gerhard Hirschfeld der Stiftung als Vorsitzender erhalten, zuletzt als Ehrenvorsitzender.
Biografie Gerhard Hirschfeld
U-Bahnhaltestelle Hagendeel
Werkauswahl Planungsgruppe Nord
U-Bahnhof Feldstraß0e. Foto: Karl H. Hoffmann
Publikationen von Gerhard Hirschfeld
- ie Kehrseite der Medaille. Zur Ausstellung Neues Bauen in alter Umgebung, Hamburg, Jacobikirche 1.-25.2.1979. Hrsg.: Freie Akademie der Künste in Hamburg. Januar 1979. 8 Seiten
- Gerhard Hirschfeld: Stadterneuerung in kleinen Schritten: Gestaltzerstörung in kIeinen Schritten?: Die Kehrseite der Medaille, Hamburg 1979, S. 6-7
- Bassewitz / Dettmann / Glienke / Hirschfeld / Siegmeier: Die Bedeutung der Blumenmarkthallen für die Hamburger Innenstadt.Der Bauzustand und ihre mögliche Nutzung. In: Deutsches Architektenblatt, Heft 3/1983, S. 31-32 und S. 35
- Gerhard Hirschfeld: Hamburg, eine Stadt am Wasser. In: Baukultur 1/1984, S. 26-29
- Gerhard Hirschfeld: Nachruf auf Otto Sill. In: Baukultur 1/1984, S. 44
- Gerhard Hirschfeld: Ideenwettbewerb Domplatz, Hamburg '83. In: Baukultur, Heft 1/1984, S. 45
- Gerhard Hirschfeld: Show-business oder Salto mortale. Gedanken zum Hamburger Bauforum AIV Hamburg. In: Baukultur 4/1985. S. 30-31
- Rolf Stephan: Hamburg ehemals, gestern und heute. Die Freie und Hansestadt im Wandel der Zeit. Mit einem Beitrag Wohnen in Hamburg im 19. und 20. Jahrhundert von Gerhard Hirschfeld. Stuttgart: J-F. Steinkopf Verlag, 1985. 208 Seiten
- Gerhard Hirschfeld: Accessoires im städtischen Raum: Stahlkonstruktionen in Hamburger Kirchen. In: Sonderdruck des AIV Hamburg zum Deutschen Stahlbautag 1986. Auszug aus Baukultur 6/1986, S. 50
- Gerhard Hirschfeld: Accessoires im städtischen Raum. In: Informationen über neuzeitliches Bauen, 56, S. 50-51[1986]
- Gerhard Hirschfeld: Der Winterhuder Marktplatz in Hamburg. In: public design. Jahrbuch zur Gestaltung öffentlicher Räume 1988, S. 45-47
- Konstruktion zwischen Kunst und Konvention. Ingenieurbaukunst in Hamburg von 1950 bis 2000. Konzept und Redaktion: Karin von Behr und Gerhard Hirschfeld. Hrsg.: Architekten- und Ingenieurverein Hamburg. Hamburg: Medien-Verlag Schubert, 1994
- Karin von Behr / Gerhard Hirschfeld / David Klemm: Villen von Martin Haller. Belle Epoque an der Alster. Hrsg.: Hamburger Feuerkasse. Hamburg: Selbstverlag, 1997
- Gerhard Hirschfeld: Horti Anckelmanniani. In: Gartenkunst, 10. Jahrgang, Heft 2, 1998, S. 210-213
- Gerhard Hirschfeld: Kleine Baugeschichte des Hamburger Stadtteils Volksdorf, Teil II. In: De Spieker. Jahrbuch 2008, S. 10-23
- Gerhard Hirschfeld: Baugeschichte Volksdorfs ab 1945 (Teil III). In: De Spieker, Jahrbuch 2009, S. 10-29
- Hamburg und sein AIV. 150 Jahre Architekten- und Ingenieurverein e.V. 1859-2009. Hrsg. von Gerhard Hirschfeld f. d. Architekten- und Ingenieurverein Hamburg e.V. Hamburg: Selbstverlag, 2009
- Gerhard Hirschfeld: Geschichte des Mahnmals und der Kirchenbauten von St. Nikolai in Hamburg. (Mahnmal St. Nikolai). Hrsg.: Klaus Francke. 1. Auflage. Hamburg: Selbstverlag, 2010
- Gerhard Hirschfeld:Bauen in Volksdorf. 400 Jahre Baugeschichte eines Hamburger Stadtteils. Hamburg: Schaff, 2018
- hamburger bauheft 30: Die Kirche St. Gabriel in Volksdorf. Mit Texten von Karin von Behr, Gerhard Hirschfeld, Claus-Friedrich Dierking.Hamburg: Schaff,2019