Rudolf Lodders
Von Karl H. Hoffmann
Lassen wir Rudolf Lodders selber zu Worte kommen. Er geht auf zwei Portraitaufnahmen ein, die ihn als jungen Mann und als 60-jährigen zeigen:
"Die Hälfte des dazwischenliegenden 30 jährigen Zeitraumes war überschattet durch den Nationalsozialismus mit seiner bekannten kulturellen Einflußnahme, wie auch in der engeren Berufsausübung durch die früh einsetzenden Beschränkungen aus dem Vierjahresplan mit den bis in die Nachkriegszeit anhaltenden Materialkontingentierungen und im Wohnungsbau noch zusätzlich durch grundrißliche Einschränkungen.
Wenn es in dieser Zeit selbst im Industriebau schwierig war, das erarbeitete Gedankengut eines neuen Bauens zu behaupten, so galt das besonders für den Wohnungsbau. Mit dem ersten Landhaus aber bemühte ich mich schon zu beweisen, daß der Neigungswinkel eines Daches nicht zum Gradmesser für den Verrat an dieser Gesinnung zu werden braucht.
Es muß erheitern, unter den neuformerischen Extremisten, die ohne jede besondere Prophetie schon heute zum bedauerlichen Schicksal des Jugendstils verdammt sind, nun auch deren Gegner von gestern sich übereifrig tummeln zu sehen. Das erinnert an die Glosse des unbeirrbaren Adolf Loos über die Wiener Sezessionisten, von denen einer meinte: Man möge ein seinem neuesten Werk benachbartes Haus nicht weiter beachten, das habe er doch schon vor 3 Jahren gebaut."
Lodders Vorwort zu einer Ausstellung seiner Werke zeigt ziemlich genau das Spannungsfeld auf, in dem er als Architekt arbeitete. Bevor er sein eigenes Büro gründete, war Rudolf Lodders Mitarbeiter in verschiedenen Architekturbüros und Planungsabteilungen. Er war ein sehr exquisiter Kreis an Lehrern, den er sich für seine praktische Qualifizierung ausgesucht hatte: Hamburgs modernsten Architekten Karl Schneider, Ernst May - den radikale Siedlungsbauer in Frankfurt, Gustav Oelsner - den Modernisierer Altonas und Martin Wagner, den gewerkschaftlich organisierten Stadtbaurat in Berlin. Das sieht nach einer Richtungsentscheidung aus, für die Moderne in der Architektur und im Städtebau. Etwas im Kontrast dazu steht seine Mitarbeit bei Wilhelm Arntz in Köln. Arntz war schon vor 1933 in die NSDAP eingetreten. Vielleicht war hier für Lodders ausschlaggebend, dass Arntz als Mitarbeiter Fritz Schumachers in das Kölner Amt gelangt war.
Als Lodders 1931/32 sein eigenes Büro gründete lag die Baubranche darnieder. Kurz darauf zerplatzten die Träume der Moderne an der Diktatur der NSDAP. Lodders beschreibt die Situation so:
"So schieden sich auch in der älteren Generation die Geister. Wir sahen auch hier die einen bereit, die anderen außer Landes gehen. Wir Jungen aber waren unserer besten Stützen und aller Berufungsmöglichkeiten beraubt. Ich werde die Stunde bei einem Besuch in Berlin nicht vergessen, wo der heraufdämmernde Schatten Speers mit dem Verrat an seinem Meister Tessenow nicht nur das mancher seiner früheren Kommilitonen, sondern unser aller Dasein zu verdunkeln drohte. Eiermann faßte damals den Entschluß zu einem Rundbrief an die einstigen Pioniere des modernen Bauens als beschwörenden Appell an ihre hohe Verpflichtung. Aber würden diese nicht noch leichter uns als ihr Werk verraten, das die Beziehung zu ihrem Leben so offensichtlich verloren hatte?
Und in der Tat, wie überall, so mehrte sich dieser Verrat auch ringsum. Moskau-Fahrer von einst trabten am Pariser Platz treppauf, treppab, und die ehemaligen Musensöhne freuten sich des Klapperns eisenbeschlagener Hacken auf den steinernen Fliesen, warfen sich geschäftig in die weichen Polster der von SS- und NSKK-Leuten gesteuerten oder begleiteten Wagen, ihrer Mission entgegen, die wir ihnen heute zugute halten, ja vergessen sollen.
In all dieser Geschäftigkeit, angeekelt und verzweifelt zugleich, sannen wir auf einen Ausweg. So begann ein wahres Nomadenleben, und schließlich tauchten wir dort unter, wo Hitler ein Ventil gelassen hatte: im Industriebau. Um in der Versenkung zu verschwinden und nicht "eingeordnet", und "ausgerichtet" zu werden, oder, wie ich in Hamburg ermahnt wurde, in "Reih' und Glied zu marschieren" und "Tuchfühlung zu halten", mußte dieser Weg gegangen werden. Wohl dem, dem das Vertrauen eines Bauherrn aus der Industrie schon entgegenkam! Die andern mußten sich ihren Auftraggeber erst suchen oder, unter Aufgabe ihrer Selbständigkeit, in untergeordneten Stellungen wie auch unter der Tarnkappe eines von einem großen Werknamen getragenen anonymen Baubüros arbeiten, um hier dann in der Stille doch so erfolgreich zu wirken, wie die jetzt dastehende Leistung vor aller Augen dartut."
Lodders hatte Glück. Er fand in Carl Friedrich Wilhelm Borgward einen Unternehmer, für den er über drei Jahrzehnte ganze Industriewerke entwarf. Zunächst die Goliathwerke in Bremen-Hastedt (ab 1933), dann Borgward-Werke in Bremen-Sebaldsbrück (ab 1936) und Bremen-Uphusen (1954), außerdem noch die Lloyd-Motoren-Werke in Bremen-Neustadt (1950). Hinzu kamen eine Borgward-Siedlung in Bremen-Arbergen (1950) und Verkaufsgesellschaften (1948, 1960). Lodders hatte seine "Zuflucht im Industriebau" gefunden. Anders als das Klischee von der monumentalen Nazi-Architektur vermuten lässt, war in der Tat im Industriebau auch in den Zeiten der faschistischen Diktatur eine zweckmäßige, moderne Architektur möglich. Lodders konnte hier ohne "Verrat" entwerfen.
Aber wie modern war Lodders wirklich? Seine sarkastische Bemerkung zum "Neigungswinkel eines Daches" deutet an, dass ihm jede Ideologie suspekt war. Die praktische Folge dieser Haltung kann man an seinen Landhäusern ablesen. Über den meisten thronen mächtige Walmdächer, oft mit Reet oder Stroh gedeckt. Lodders schreckt auch nicht vor Fensterläden und Sprossen zurück. So werden seine Wohnhäuser in den 50er Jahren gerne in Publikationen wie "150 Eigenheime" oder "Neue Einfamilienhäuser" gezeigt. Sie sind unverdächtig, überbeanspruchen den Betrachter aber auch nicht durch avantgardistische Anliegen.
Ab 1946 gehörte Rudolf Lodders zu den Architekten der Grindelhochhäuser. Ursprünglich ein Projekt der britischen Besatzungsmacht in Hamburg. Die Teilnahme am "Hamburg project" war eine Art Ausweis dafür, dass man nicht zu denjenigen gehörte, die sich zu sehr auf die Nationalsozialisten eingelassen hatte. Für Lodders sicherlich eine wunderbare Bestätigung seiner Haltung.
Quellen: Rudolf Lodders: Bilderbuch eines Architekten. Bauten von 1931-1961. Hrsg.: Freie Akademie der Künste in Hamburg. Hamburg, 1961, S. VII
Rudolf Lodders: Zuflucht im Industriebau. In: Baukunst und Werkform, Heft 1/1947, S. 37-44
Bettina Tüffers: Der braune Magistrat: Wilhelm Friedrich Arnzt. © Stadt Frankfurt am Main, 2006