Joachim Matthaei
Von Karl H. Hoffmann
Bauen in schwierigen Zeiten
Joachim Matthaei habe "in einer für Architekten heute eher schwierig erscheinenden Zeit" gebaut, schreibt Alexandra Czerner in ihrem Nachruf. Gemeint sind die 60er und 70er Jahre. Matthaei war am Bau der Hamburger Siedlungen Hohenhorst, Osdorfer Born und Steilshoop beteiligt, zusammen mit Heinz Graaf entwarf er das Hochhaus des Deutschen Rings an der Ost-West-Straße (heute Ludwig-Erhard-Straße) und zusammen mit Albrecht Elschner sowie C.F. Fischer und Horst von Bassewitz die Hamburger ADAC-Verwaltung an der Amsinckstraße. Die gleiche Arbeitsgemeinschaft baute auch das Café Kröpcke in Hannover, über dessen Entstehungsgeschichte Matthaei schrieb, er staune selber "wieviel von der Idee sich am Ende doch als stärker erwiesen hat als alle Faktoren, die geeignet waren, sie endgültig zur Strecke zu bringen".
Liebe zum Ziegel
Joachim Matthaei sah den Ziegelrohbau als den "Regelfall", die Verwendung anderer Materialien eher als die "Abweichung". Er selbst sah sich geprägt durch die Backsteinbauten seiner Heimatstadt Lüneburg und später durch die Klinkerbauten im Hamburger Kontorhausviertel. Die "treibenden Kräfte für die Industrialisierung des Wohnungsbaus gegen den Ziegelbau" in den 60er Jahren waren nach Matthaeis Meinung nur "in letzter Linie" die Architekten gewesen, aber mitgemacht hätten sie doch.
Beim Bau von Wohnblöcken in Steilshoop entschieden sich Matthaei und Elschner 1968/69 "eher gegen den Trend" für Ziegel. Es stellte sich heraus, dass die Gebäude hinsichtlich Kosten und Bauzeit dem Vergleich mit Montage- und Teilmontagebauten der gleichen Siedlung standhielten.
Eine besondere Art von Klinker, nämlich hellroten Ziegel aus Belgien, verwandte Joachim Matthaei beim Bau der evangelisch-lutherischen Bethlehemkirche am Eppendorfer Weg 131 in Hamburg-Eimsbüttel. Ralf Lange beschreibt das Gebäude als einen "der wenigen wirklich gelungenen Hamburger Sakralbauten der Nachkriegszeit, der auch überregionale Vergleich nicht zu scheuen braucht".
Biografie
Milieu
1974 nahm Matthaei als Jurymitglied an der Stadtereneuerung Karl-Theodor-Straße in Hamburg-Ottensen teil. Ein Projekt, das zum Prototyp der "Stadterneuerung in kleinen Schritten" wurde. Etwa zur gleichen Zeit äußert sich Matthaei zu Sanierung, Milieu und Kitsch:
"Vergessenes oder vernachlässigtes Milieu deckt den Bereich des großen Unbehagens ab, das von den neuen Wohnsiedlungen ausgeht und das mit den Stichworten von der Unwirtlichkeit unserer Städte, von den grünen Witwen, den Schlafghettos und Wohnsilos nur sehr grob umrissen ist. Nicht ernst genug zu nehmen ist dabei die Tatsache des großen Unbehagens. Und nicht weniger ernst zu nehmen sind die Fragen nach den Gründen wie nach den Konsequenzen. Nichts führt dabei aber so sicher ins Abseits wie alle Illusionen, die darauf bauen, daß ein Kurieren an den Symptomen möglich sei.
Dieser ganze emotionale und romantische Ansatz ist falsch. Er ist um so gefährlicher, weil auf eine Welle sehr bald die nächste zu folgen pflegt. Die Formel von der Nostalgie-"Welle" entstand nicht von ungefähr. Und es ist schlimm, wenn ein Saisontrend zu den Romanen der Courths-Mahler oder der Marlitt und zu den entsprechenden Möbeln und Moden der Jahrhundertwende im Zeichen von Milieu-Sehnsucht auf städtebauliche Probleme übertragen wird. Weil dann über dem Problem des Erhaltens oder Abbrechens einer wilhelmischen Mietskaserne, über dem Vergnügen an farbig munter erneuerten Fassaden und ein paar alten Straßenlaternen alle anderen Probleme des Quartiers aus der intellektuellen Verantwortung verdrängt werden.
Wenn mit der Milieu-Qualität eines städtischen Wohnquartiers seine optische Erscheinung gepriesen wird und gleichzeitig nicht davon gesprochen wird, daß es überaltert, übervölkert, überbebaut, verkehrslärmbedrängt, hygienisch unterversorgt und völlig unzureichend mit Gemeinbedarfseinrichtungen versorgt ist, so ist das verantwortungslos. Erhalten um jeden Preis aus Angst vor jeglicher Entscheidung kann hier ein langsames, aber sicheres Sterben bedeuten, wo "Sanieren" noch vor wenigen Jahren gleichbedeutend mit 'Totalabbruch und Neubau war' - eine Alternative mit gleichem Ergebnis!
Die Aufgabe aber, die uns gestellt ist, heißt, den Menschen dieses Quartiers ein menschenwürdiges Milieu zurückzugewinnen, in dem sie leben können, sich heimisch fühlen und bleiben wollen. Dazu muß das Quartier saniert, d. h. wieder lebensfähig und bewohnbar gemacht werden, ohne sein Gesicht zu verlieren. Das kann nicht von Amts wegen dekretiert werden, sondern muß mit den Beteiligten und den Betroffenen Schritt für Schritt erarbeitet werden - unvorstellbar mühsam erarbeitet werden."
Nachruf
Alexandra Czerner hebt den "scharfen Intellekt" Matthaeis hervor und sein Engagement für die politische Verantwortung des Architekten. Joachim Matthaei schrieb eine beachtliche Zahl Zeitschriftenartikel und andere Publikationen, die oft in Zusammenhang mit seiner Arbeit als Mitglied des BDA standen. In diesem Berufsverband engagierte sich Matthaei vor allem für Fragen des Nachwuchses und der Ausbildung von Architekten. Neben dieser Arbeit und der Hauptberufung als Architekt war Matthaei auch als Maler und Zeichner aktiv und entwarf Ausstattungen fürs Fernsehen.
Werkauswahl
Quellen
Ehrenmitgliedschaft für Dr. Matthaei. In: Der Architekt 7-8/1980, S. 345.
Alexandra Czerner: Joachim Matthaei (1911-1999) gestorben. In: Der Architekt Nr. 4/1999, S. 9
Joachim Matthaei: Das Café Kröpcke und die Baukunst oder Der Architekt als Randfigur. In: Baumeister 10/1977, S. 905-980
Joachim Matthaei: Ziegel nur Modematerial? In: Baumeister Nr. 7 / 1978, S. 594
Ralf Lange: Architekturführer Hamburg, Stuttgart: Edition Axel Menges, 1995, S. 112-113
Joachim Matthaei: Über die Notwendigkeit von Milieu zu reden. In: Der Architekt, Heft 9/1975, S. 362-364