Hans-Georg Tinneberg
Von Karl H. Hoffmann
Mit Hilfe von Gerrit Frank
Es gibt Architekten, die entwerfen spektakuläre Bauten, die in prächtigen Fotobänden hundertfach abgebildet werden und es gibt Architekten, die für die Alltagsarchitektur zuständig sind, die nicht weiter - außer vielleicht in Fachkreisen - beachtet werden. Konzentriert man sich zudem noch wie Hans Georg Tinneberg auf den Wohnungsbau für den Durchschnittsbürger, baut eher Sozialwohnungen als prächtige Villen, wird es ziemlich leicht, ein Leben lang unentdeckt zu bleiben. Eingezwängt zwischen hunderten Vorschriften und knappen Finanzen, ist es für alle Beteiligten leichter so zu bauen, wie es eben üblich ist, Etravaganzen stören nur den Betrieb.
Wie wichtig kleine Abweichungen vom "Normalen" sein können, sieht man an dem Grundriss für ein Altenwohnheim (rechte Spalte, 5. Abb. von oben). Tinneberg stieß sich offenbar, wie viele Menschen, an den endlosen Korridoren, die eine trübe Atmosphäre ausstrahlen. Er druchbrach die Ödnis, indem er vor jedem Wohnungseingang Einschnitte plante, die die Monotonie aufbrachen. Er verschenkte damit ein paar Quadratmeter Nutzfläche für - so kann man hoffen - ein besseres Wohngefühl.
In den 70er Jahren war im Städtebau der Optimus der Wiederaufbaujahre verflogen. Leitlinien wurden kritisiert, die Zerstörung der Städte durch autogerechte Stadtplanung beklagt. Im Wohnungsbau stieß die Rationalisierung immer heftiger an ästhetische Grenzen. Viele bedauerten, dass "Beton nicht brennt". Gerade in dieser Zeit wurde Hans Georg Tinneberg mehrfach ausgezeichnet. Seine Atriumhäuser "Im Rühmt" in Hamburg-Rahlstedt wurden zu "vorbildlichen Bauten 1971" erkoren. Die Flachbauten hatten Fassaden aus Mauerwerk, die Einschnitte in der Fassade (Fenster und Stürze) waren bis zur Traufe hochgezogen. Ein eher seltenes Gestaltungsmittel, das der Wohnanlage eine skulpturale Modernität verleiht. Für den AIV Hamburg, der den Preis verlieh, war jedoch wichtiger, das hier versucht wurde, "typische Hamburger Einfamilienhausgegenden .. von innen her zu verdichten und zu aktivieren, um sie durch Bildung von Gemeinschaften, Wohngruppen und Schaffung von Plätzen wieder menschenwürdig, d.h. gesellschaftlich aktiv zu machen". Das waren überzogen hohe Ziele, könnte man aus heutiger Sicht sagen. Die Architektur der Wohnanlage überzeugt aber noch heute.
Im Büro Tinneberg
Eine Wurst essend: Hans Georg Tinneberg, Mitte rechts (Bestandsmappe)
1973 erhielt wieder ein Gebäude von Hans-Georg Tinneberg die Auszeichnung "vorbildlicher Bau". Verliehen von der Baubehörde Hamburg. Es war das Altenheim der Alida-Schmidt-Stiftung am Zikadenweg in Hamburg-Marienthal. Architektonisch ein eher unauffälliger Bau. Ungewöhnlich für ein Altenheim der damaligen Zeit war der Komfort: " Die Wohnungen verfügten über eine Küche, ein Duschbad, Zentralheizung, Wasserboiler und Loggien zum Garten".
1976 wurde das Prädikat "vorbildlicher Bau" der Wohnanlage Fockenweide 8/24 in Hamburg-Bergedorf verliehen. Gelobt wurde die "hohe gestaltersiche Qualität der Architektur und des Innenhofs." Bei der auch heute noch ganz erfreulich anzuschauenden Anlage hat es Hans-Georg Tinneberg verstanden, die Monotonie langer Fassaden durch Vor- und Rücksprünge aufzubrechen.
Bei allen drei ausgezeichneten Projekten dominiert Mauerwerk die Fassaden. Das ist auch bei einem weiteren Gebäude der Fall. Gemeint ist der Block 9 in der umstrittenen Großsiedlung Steilshoop. Die Gestaltung bezeugt das etwas verzweifelte Bemühen von der Monotonie durchrationalisierter Fassaden weg zu kommen. Durch dreieckige Vorsprünge und durch Farben. Der Block 9 ist ein Zeugnis des Übergangs. Bald danach wagte man es nicht mehr, Großsiedlungen am Rande der Stadt zu bauen.
Wohnhäuser Nordschleswiger Straße
1954, Tinneberg und vom Berg (Bestandsmappe)
Biografie
Ein starker Trend während der 1970er-Jahre war die Sehnsucht nach der traditionellen Stadt, nach urbanem Leben. Städtebaulich hieß dies, dass man fast nur noch im Bestand baute, Wohnanlagen verdichtete, Gelände umnutzte, Lücken füllte oder Bestehendes ergänzte. Genau in diesen Rahmen passte das Projekt "Cremon-Insel". Mitten in der Hamburger Innenstadt, aber abseits der Geschäftsstraßen, wurden ab Ende der 1970er Jahre neue Wohnhäuser gesetzt. Die Gebäude gemahnen stark an herkömmlichen Wohnungsbau, unverkennbar sind aber auch die Versuche, neue Formen zu finden. Zusammen mit K. J. Westphal und Dirk Bäumer + Martin Streb formte Tinneberg eine differenzierte Dachlandschaft, wuchtig, aber vielteilig, die Fassaden weisen einige Rundbögen auf, einige Balkone haben schräge Kanten, manche Fassaden sind durch Vorsprünge gegliedert, die an Strebpfeiler erinnern.
Cremon-Insel, Hamburg
Bauabschnitt 4, Haus 1-5, Oktober 1979 (P 001a/04C)
HSV und Uwe Seeler
Laut einem Porträt im "Hamburger Abendblatt" war Hans-Georg Tinneberg in seiner Jugend ein begeisterter Fußballspieler und sei eigentlich nur wegen des HSV nach Hamburg gekommen ...
Wie auch immer: Hans-Georg Tinneberg entwarf Bauten für die Hamburger Fußball-Legende Uwe Seeler. Einmal ein 2-geschossiges Wohnhaus mit Laden “Uwe Seeler Adidas” in der Oktaviostraße in Hamburg-Marienthal und Anfang der 1980er Jahre eine Lagerhalle in Norderstedt für “Uwe Seeler Adidas”.
Werkauswahl
Quellen
140 Jahre Alida Schmidt-Stiftung http://alida.de/fileadmin/redakteure/Stiftungen/dokumente/Stiftungsbroschueren/140_Jahre_Alida_Schmidt-Stiftung.pdf
Reißbrett im Reisegepäck. In: Hamburger Abendblatt vom 29.5.1981, S. 1
Bestandsmappe Tinneberg
Staatliche Pressestelle Hamburg: Meldung vom 4.10.1973: Vorbildliche Bauten ausgezeichnet
Bauzentrum Hamburg, Heft 1/1971: Auszeichung vorbildlicher Bauten in Hamburg
Baubehörde hamburg: Auszeichnung vorbildlicher Bauten 1976. Hrsg.: Freie und Hansestadt Hamburg, Staatliche Pressestelle. Hamburg 1976
Ralf Lange: Hamburg - Wiederaufbau und Neuplanung 1943-1963, Königstein: Langewiesche, 1994, S. 328
Who's Who in Technology, Q-Z, Wörthsee: Who's Who, 1979, S. 728